Vollfinanzierung – kann ich ohne Eigenkapital eine Immobilie kaufen?
Innerhalb weniger Tage kontaktierten mich gleich drei Interessenten mit dem quasi gleichen Anliegen: das Traumhaus vor Augen, aber nichts auf der hohen Kante bzw. kein Interesse daran, Eigenkapital einzusetzen. Die Lösung aus diesem Dilemma heisst Vollfinanzierung. Aber ist ein Hauskauf ohne Eigenkapital überhaupt noch möglich im Jahr 2023? Und ist er zu empfehlen?
Die Überlegung ist natürlich naheliegend: die Mieten steigen und viele Menschen spielen daher trotz hoher Zinsen mit dem Gedanken, lieber ein Haus zu finanzieren als weiterhin Miete zu zahlen. In ländlichen Regionen Frankens mit teilweise günstigen Kaufpreisen im Prinzip eine gute Idee. Aber was, wenn man keine eigenen Ersparnisse hat, die man als Eigenkapital in eine Finanzierung einbringen kann? Die Vollfinanzierung kann den Traum trotzdem wahr werden lassen. Allerdings ist ein Immobilienerwerb ohne Eigenkapital mit höheren Risiken und höheren Zinskosten verbunden – sofern Banken überhaupt mitspielen.
Was ist eine Vollfinanzierung?
Der Begriff ist durchaus missverständlich. Er impliziert, dass du dein Immobilienvorhaben komplett ohne Eigenkapital finanzierst, also auch die Kaufnebenkosten wie Grunderwerbsteuer, Notarkosten, Kosten für die Grundschuldeintragung und Maklerprovision. Unter Bankern ist dagegen eher die Vollfinanzierung des Kaufpreises gemeint, nicht auch noch von den Kaufnebenkosten. Aufgrund dieser Verwechslungsgefahr spreche ich lieber von 100%- bzw. 110%-Finanzierung.
Die Prozentangabe ist grundsätzlich auf das Objekt bezogen. Finanziert die Bank also 100 Prozent des Kaufpreises, handelt es sich im Sprachgebrauch der Banker um eine Vollfinanzierung. Manche sprechen jedoch erst von einer Vollfinanzierung, wenn auch die Kaufnebenkosten finanziert werden. In diesem Fall handelt es sich genau genommen jedoch um eine 110-Prozent-Finanzierung.
Daher nochmal zur Klarstellung:
100%-Finanzierung = Bank finanziert den Kaufpreis, Kaufnebenkosten bezahlst du
110%-Finanzierung = Banken finanzieren Kaufpreis + Kaufnebenkosten
Ist es aktuell möglich ein Haus ohne Eigenkapital zu kaufen?
Ja, ist es. Im Juni habe ich zuletzt eine 110%-Finanzierung, also eine Hausfinanzierung ohne einen EUR Eigenkapital für einen Kunden (sogar in Probezeit!) realisiert. Das war möglich, weil die beiden Käufer über ein sehr hohes Einkommen und eine sehr gute berufliche Qualifikation verfügen. Sogar die Kaufnebenkosten wurden dabei über einen Privat- bzw. Ratenkredit einer Drittbank finanziert. Üblich oder selbstverständlich ist das jedoch nicht! Die meisten Banken schließen solche Lösungen grundsätzlich aus, tun sich heutzutage sogar mit 100%-Finanzierungen schwer.
Was ist sinnvoll beim Hauskauf ohne Eigenkapital?
Die Kaufnebenkosten sollte man trotz des Positiv-Beispiels oben unbedingt aus eigenen Mitteln bezahlen, ich empfehle derzeit sogar mind. 10% zusätzlich. Übrigens: der Gesetzgeber schreibt vor, dass das finanzierte Objekt werthaltig sein muss. Das heißt, dass die Sicherheit für den Kredit ausreichend sein muss. Wenn du aber mehr als den Kaufpreis als Kredit aufnimmst, erhält die Bank eine Sicherheit, die geringer als die Kreditsumme ist. Demnach wäre die gesetzliche Vorgabe nicht erfüllt. Umgehen lässt sich das durch die Kreditaufnahme für die Kaufnebenkosten bei einer anderen Bank, meistens mittels (eines etwas teureren) Privatkredit. So sind die Risiken für die Banken gesetzeskonform aufgeteilt. Trotzdem lehnen viele Banken dieses Modell ab.
Was kostet mich ein Hauskauf ohne Eigenkapital?
Um so mehr du prozentual vom Kaufpreis finanzieren musst, um so teurer wird dein Zinssatz. Wer also mehr als 80 oder 90 Prozent des Kaufpreises mittels Kredit finanziert, zahlt bei vielen Kreditinstituten einen deutlich höheren Zinssatz als für eine Finanzierung für unter 80% des Kaufpreises. Entsprechend höher fällt die monatliche Rate aus.
- höhere Kreditsumme = höhere Rate
- auf den Kaufpreis bezogen prozentual höhere Kreditsumme = schlechtere Zinssätze = höhere Rate
- zusätzlicher Finanzierungsbedarf für die Kaufnebenkosten = teurer Privatkredit –> noch höhere Gesamtrate
Konkretes Beispiel aus Juni:
319.000,- Kaufpreis zzgl. ca. 35.000,- Kaufnebenkosten komplett ohne Eigenkapital finanziert:
319.000,- zu 4,27% Sollzins auf 10 Jahre und 2% Tilgung = 1.666,78 EUR mtl. Rate
38.500,- zu 8,19% Sollzins auf auf 10 Jahre und ca. 1,91% Tilgung = 326,64 EUR mtl. Rate
–> zusammen also rund 2.003,- EUR Rate!
Heute, ca. 10 Wochen später wäre eine Finanzierung von rund 80% des Kaufpreises für unter 3,80% realisierbar:
Du siehst: die Zinskosten sind am Ende oft um ein Vielfaches höher, wenn du kein Eigenkapital einbringen kannst oder willst. Und wenn du mit der gleichen Rate wie bei der Vollfinanzierung (also ca. 2.003,-) die 80%-Finanzierung bedienen würdest, könntest du deinen Kredit in sehr kurzer Zeit vollständig zurückbezahlen und weitere Zinskosten sparen.
Je mehr Eigenkapital du einbringen kannst, desto besser ist die Sicherheit der Bank und desto besser sind deine Zinssätze.
Welche Risiken gibt es bei der 100%- bzw. 110%-Finanzierung?
- fehlendes oder wenig Eigenkapital führt zu hohen Darlehenszinsen, siehe oben. Dadurch dauert auch die Tilgung des kompletten Kreditbetrags länger (es sei denn, du setzt die Tilgungsrate noch höher an und kannst eine noch höhere monatliche Kreditrate tragen).
- das Risiko bei der Anschlussfinanzierung ist ebenfalls höher, da du am Ende der Zinsbindung eine höhere Restschuld hast als bei einer Finanzierung mit einem von Beginn an höheren Eigenkapitalanteil.
- da der Käufer bei einer Finanzierung ohne Eigenkapital meistens insgesamt länger braucht, um die Schulden vollständig zurückzubezahlen, ist er auch länger dem Risiko ausgesetzt, die Raten nicht mehr bedienen zu können, z.B. aufgrund von Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit.
Was spricht denn überhaupt noch dafür für die Hausfinanzierung ohne Eigenkapital?
- du findest JETZT gerade deine Traumimmobilie und kannst nicht länger Eigenkapital ansparen oder in der Familie auftreiben
- du kannst es dir trotz der höheren monatlichen Kosten leisten – auch in Zukunft bei familiären Veränderungen
- es macht im Fall von Kapitalanlegern steuerlich Sinn
Und wie gelingt nun der Kauf und die Finanzierung einer Immobilie ohne Eigenkapital?
- Kreditvergleich über mich starten
- in meinen Analyse-Tools werden dir sofort zuverlässig potentielle Finanzierungspartner angezeigt – und auch die Kreditinstitute, die dein Vorhaben nicht begleiten wollen
- hervorragende Bonität: sicheres und ausreichend hohes Einkommen, ggfs. weitere Vermögenswerte, besparte Altersvorsorgeprodukte, möglichst keine weiteren Zahlungsverpflichtungen sind hilfreiche Pro-Argumente.
- interne Verkehrs- bzw. Beleihungswertermittlung der Bank muss positiv ausfallen; gute Lage, guter Zustand sind hilfreich.
- Einsatz einer Zusatzsicherheit, z.B. die Beleihung einer weiteren Immobilie aus der Familie. Dann liegt streng genommen aber auch keine Vollfinanzierung mehr vor.
- gelegentlich hilft auch der Abschluss eine Girokontos oder Bausparvertrags bei der finanzierenden Bank
Eine Vollfinanzierung ist m.E. bei Eigennutzern nur akzeptabel, wenn dir gerade dein Traumhaus über den Weg läuft, kaum Ersparnisse vorhanden sind und dir sehr sicher bist, dass du die monatlichen Belastungen aus der Imobilie auch künftig schultern kannst, ohne auf Urlaub etc. verzichten zu müssen. Immer wieder empfehlenswert ist eine selbst erstellte Übersicht deiner monatlichen Ausgaben. Frage dich danach, ob du die monatliche Kreditrate wirklich ohne große Einschränkungen schultern kannst. Auch mein Budgetrechner „Wie viel Haus kann ich mir leisten“ taugt als erste Indikation. Verzichte bitte möglichst auf eine 110-Prozent-Finanzierung und zahle zumindest die Kaufnebenkosten aus Eigenkapital, besser noch 10% on top. So senkst du alle deine Risiken, also in Bezug auf die Rückzahlungsdauer, die Höhe der Restschuld nach Zinsbindungsende sowie die Höhe der Schulden im Fall eines Verkaufs.